Exerzitien sind Gottesbegegnungen

Exerzitien sind Gottesbegegnungen

Günter Schmitt, Lorsch

Im Wörterbuch steht unter dem Begriff „Exerzitien“ wörtlich: geistliche Übungen der Katholiken. Die Exerzitien haben eine lange Tradition. In den Klöstern der Männer- und Frauenorden waren solche Tage der geistlichen Besinnung schon im frühen Mittelalter sehr beliebt. Seit Gertrud von Helfta (1256-1302), die wohl die ersten Exerzitienanleitungen niedergeschrieben hat, fassen die alten geistlichen Meister unter diesem Begriff gezielte Schritte zusammen, die in äußerer Einsamkeit und nach bestimmten Gebets-pädagogischen Gesetzen eine Einübung in die geglaubten Mysterien, besonders durch betrachtendes Gebet, anstreben.

Es ist Ignatius von Loyola (1491-1556) zu verdanken, dass Exerzitien im Laufe der letzten fünf Jahrhunderte zu einer wesentlichen Form der Glaubensvertiefung für alle Christen werden konnten. Mit seinem Exerzitienbuch, mit dem er die Mitglieder des von ihm gegründeten Jesuitenordens durch eine dreißigtägige Zeit der Entscheidungsfindung begleitet, hat er dieser intensiven Form der christlichen Lebenserneuerung eine „Klassische Gestalt“ gegeben. Zugleich hat er damit eine Exerzitienbewegung eingeleitet, die sich bis in unsere Tage hinein fruchtbar auswirken konnte. Mit der Gründung von Exerzitienhäusern – das erste wurde 1579 in Mailand vom hl. Karl Borromäus (1538-1584) gegründet. Mit einer Bulle Pauls V. (1605-1621) von 1606, die solche Einübungen allen Ordensleuten und Priestern ans Herz legte, begann der Siegeslauf der Exerzitien. In Deutschland hat vor allem Pater Hugo Rahner SJ Wesentliches dazu beigetragen, dass Exerzitienkurse ein systematisch betreuter und von den Bischöflichen Ordinariaten geförderter Bestandteil der überregionalen Seelsorge wurden.
Neben den am meisten bekannten Ignatianischen Exerzitien gibt es auch andere Exerzitienformen, die aus verschiedenen geistlichen Traditionen der Kirche, der Orden vor allem, hervorgegangen sind. Die klassische Form der Exerzitien, die sogenannten „Großen Exerzitien“ wie sie ein Jesuit auf seinem geistlichen Werdegang zweimal macht, erstrecken sich auf eine Dauer von 30 Tagen. Man zieht sich bei den Exerzitien vom Alltag zurück, hält strenges Schweigen ein und lässt sich durch nichts Äußeres ablenken. Ein innerer Prozess der Wandlung und Neuorientierung beginnt, der zugleich ein psychischer und geistlicher Prozess ist.

Ignatianische Exerzitien werden heute meist in einer verkürzten Form gemacht, wobei sich ein acht- oder dreitätiger Rhythmus als sinnvolle Zeiteinheit herausgestellt hat.

Eine andere Form der Exerzitien sind die sogenannten Exerzitien im Alltag: Über einige Wochen oder Monate nimmt sich der Exerzitant Zeit für eine oder zwei Übungen mit bis zu einer halbstündigen Betrachtung oder Meditation. Der Alltag und die Arbeit gehen weiter, aber durch die täglichen Übungen kann man dennoch in einen eigenen Exerzitienprozess hineinfinden.

Die Exerzitien sprechen den ganzen Menschen an, alle Dimensionen der menschlichen Wirklichkeit: Phantasie, Bilder, Geschichten, die Lebensgeschichte, alle leiblichen und geistlichen Sinne, Gefühle, Regungen, die Herzensmitte, den Kern des Menschen. So wie Ignatius sagt: Man solle Gott in allem suchen und finden. So könnte man sagen, man solle beten mit allen Kräften, die den Menschen ausmachen.

Die Exerzitien wollen über das eigene Leben mehr Klarheit geben, den Menschen neu auf Gott hin ausrichten und bei Lebensentscheidungen helfen.
Exerzitien sind eine Methode, um zu einem ganz persönlichen Zugang zur christlichen Spiritualität zu finden. Ihr Ziel ist es, die Sinne zu schärfen, um Gottes Gegenwart in allem aufzuspüren. Auf diese Weise kann sich das Leben neu ordnen. Exerzitien sind ein Weg der Achtsamkeit. Sie wollen zu einer Begegnung mit dem Geheimnis Gottes führen.

Jeder und jede muss diesen Weg zwar alleine gehen, doch kann ich mich auf diesem Weg an den Lebenserfahrungen der Menschen orientieren, die in der Bibel überliefert sind. So kann es gelingen, die Beziehung zu anderen Suchenden wahrzunehmen, das eigene Leben mit neuen Augen zu sehen und Gottes verborgene Gegenwart aufzuspüren.

Ich nehme mir Zeit, darüber nachzudenken, was mir derzeit besonders wichtig ist in meinem Leben. Sehe ich dies als Not – wendig an?
Ich komme mit Gott ins Gespräch. Gottes Gegenwart in dieser Welt ist vielfältig und nicht immer eindeutig. Man braucht einen Exerzitienbegleiter. Man könnte mit ihm besprechen, was in der Stille hochkommt. Es kommt zu einem inneren Prozess der Selbsterfahrung: Sich selber kennen lernen und Gott begegnen, das gehört zusammen. Man hört auf den Heiligen Geist.

Eine wichtige Voraussetzung zum guten Gelingen der Exerzitien ist, zu schweigen und auf das übliche Gespräch zu verzichten. Damit wird es dem einzelnen Teilnehmer möglich, den eigenen Weg zu suchen und zu finden und in der Stille offen und sensibel zu werden für die persönliche Beziehung zu Gott. Der Übende nimmt sich viel Zeit, das Wort Gottes zu betrachten. Die Chance der Exerzitien liegt in der behutsamen Berührung mit Gott, aus der wir unser Leben beziehen.

Am Ende der Exerzitien sollte man beichten. Denn die Beichte ist ein Befreiungssakrament und die Voraussetzung zu einem neuen Anfang mit Gott.
In dir selber ist die Quelle des Heiligen Geistes. Wenn du mit ihr in Kontakt kommst, dann wird dein Leben fruchtbar, dann strömt es aus dir heraus, dann blüht es um dich herum auf. Bitte Gott, dass er dir den Regen seines Geistes schenken möge, damit auch in dir die vertrockneten Felder wieder Frucht bringen, für dich und für die Menschen um dich herum.

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